[Politik] Hooliganismus-Massnahmen verfassungswidrig? Wurstegal, wir winken’s durch!

Der Nationalrat hiess gestern die Gesetzesrevision des BWIS (Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit) gut, mit welcher harte Massnahmen gegen „Hooligans“ eingeführt werden sollen (Rayonverbote, Meldepflicht, Ausreisesperren, Hooligan-Datenbank etc. pp.).

Bereits in den Vernehmlassungsantworten zur Revision hagelte es Kritik wegen der nach weit verbreiteter Meinung fehlenden verfassungsrechtlichen Kompetenz des Bundes, in diesem Bereich überhaupt gesetzgeberisch tätig zu werden (die Regelungskompetenz im Polizeiwesen liegt bei den Kantonen). Und auch im Nationalrat war dies bei der Verabschiedung der Revision gemäss Bericht des Tagesanzeigers ein Thema:
Zu reden gab in der Eintretensdebatte die unklare Verfassungsgrundlage. Auch Blocher räumte ein, dass unter Juristen die Bundeskompetenz zur gesetzlichen Regelung von Rayonverbot, Meldepflicht und Polizeihaft umstritten sei.
Die Ratslinke beantragte erfolglos Nichteintreten und Rückweisung. Josef Lang (Grüne/ZG) sprach von «polizeilichem Sicherheitswahn», und Daniel Vischer (GPS/ZH) bezeichnete die Vorlage als verfassungswidrig und unnötig. Die bestehenden Gesetze von Bund und Kantonen genügten zur Bekämpfung des Hooliganismus.

In Anbetracht der fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit gab sich die bürgerliche Mehrheit pragmatisch. Die Rechtskommission leite die Bundeskompetenz aus der Zustimmung der Kantone, der Polizei und der Sportveranstalter ab, sagte Norbert Hochreutener (CVP/BE). Sein Walliser Parteikollege Maurice Chevrier war zu Gunsten des Tourismusmarketing bereit, über die wacklige Verfassungsgrundlage hinwegzusehen. Ruedi Aeschbacher (EVP/ZH) verlangte, «dass der «Staat für Ordnung» sorge, wenn sich die Leute nicht mehr zu Benehmen wüssten.
Meiner Treu, bei solcherlei Begründungen stehen mir die Haare zu Berge, ja ergrauen vorzeitig! Die Bundeskompetenz soll aus der Zustimmung der Kantone, der Polizei und der Sportveranstalter abgeleitet werden? Schmarrn! Über Änderungen der Regelungskompetenzen entscheidet der Souverän, sprich das Staatsvolk, via abstimmungsbedürftigen Verfassungsänderungen. Da können die Kantone (wer ist denn übrigens „die Kantone“: jeweils die Exekutive, das Parlament oder etwa die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren?) so viel zustimmen, wie sie wollen . Von der Polizei und den Sportveranstalter gar nicht reden. Als ob die hier irgendwas zu melden hätten!

Noch übler sind die Aussagen des im Tagesanzeiger zitierten Ruedi Aeschbacher. Der Staat soll also für Ordnung sorgen, wenn sich die Leute nicht mehr zu Benehmen wissen – und sich dabei nicht allzu viel Sorgen um die Verfassungsmässigkeit machen? Aber hallo! Das sind Aussagen, die wir von Herr Pinochet, „Väterchen“ Stalin oder Signore Mussolini erwartet hätten, aber sicher nicht von einem Parlamentarier unseres Rechtsstaates.

Ich hoffe, dass sich die Betroffenen dieser Massnahmen wehren, die Entscheide anfechten und notfalls bis vors Bundesgericht ziehen.

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Christian (Gast) - 16. Dez, 14:01

Nix Bundesgericht - das hat ja bekanntlich nicht viel zu melden. Strassburg einfach ...

gebsn - 16. Dez, 15:36

Oje, oje

Das Jusstudium, als wir noch regelmässig "StaBes" etc. gewälzt haben, ist so lange eigentlich gar nicht her. Ich hatte in Erinnerung, dass am Bundesgericht auch eine Überprüfung der Verfassungsmässigkeit der gesetzlichen Grundlagen einer Verfügung möglich sei (auch wenn das Bundesgericht gegen verfassungswidrige Gesetze an und für sich nix unternehmen kann). Aber dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer halten.
Sisyphos (Gast) - 21. Dez, 01:26

Mir fallen sie aus.

Ich gestehe, mir ergrauen die Haare bei der Lektüre obigen Beitrags nicht nur - sie fallen mir aus. Haben die nichts intelligenteres zu tun in ihrer Zeit in Bern? Wie soll man das nennen? Konkludente Kompetenzenattraktion? Die spinnen die Politiker.

Eine Verfügung kann an sich nur dann bundesgerichtlich per staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden, wenn sie von einer kantonalen Behörde stammt. Ansonsten - Pustekuchen. Da das fragliche Gesetz ja eines des Bundes ist, ist es bekanntlich (in meinen Augen grundsätzlich nicht ganz zu unrecht) sakrosankt. Es ist im Übrigen aber nicht das erste Mal, dass das BWIS Anlass zur Sorge bereitet. Dem Dienst für Anaylse und Prävention (DAP) vom Bundesamt für Polizeiwesen werden darin sehr weithgehende Kompetenzen zur Sammlung von Daten eingeräumt die von einer wirksamen Überprüfung (auf dem Rechtsweg) gänzlich abgeschirmt sind....

gebsn - 21. Dez, 01:50

Danke für die Erläuterungen in Sachen Bundesgericht

Und schön, dass wir hier einer Meinung sind. Um es mal etwas überspitzt zu sagen: Was das DAP da unter den rechtlichen Grundlagen des BWIS aufbaut, ist nichts Anderes als der Fichenstaat Ver 2.0, nur diesmal alles elektronisch, effizienter und vernetzbar und eben gestützt auf eine gesetzliche Grundlage. Es ist zum weinen.
Sisyphos (Gast) - 21. Dez, 10:15

Ich denke in der Schweiz mit ihren "Checks und Balances" passiert es generell wahrscheinlich weniger schnell, dass im Namen der Sicherheit der antifreiheitlichen Regulierungswut allzu sehr nachgegeben wird... Aber es ist schon eine besorgniserregende Entwicklung.

Ist es ausserdem meine Parnoia oder liege ich richtig wenn ich im Internet das nächste Opfer staatlicher Eingriffspolitik erspähe? Wird freies bloggen auch in 10 Jahren noch ohne Weiteres möglich sein? Oder nur gegen "Gebühr"? Ich weiss nicht ob gebsn mit mir einig geht, doch halte ich zwei Entwicklungen unter diesem Gesichtswinkel für sehr sympomatisch und bedenklich: Das unter Strafe stellen des Leugnens von Völkermord sowie die mit Schengen eingeführte Meldepflicht von (legalen!) Privatwaffen. Beides erlaubt dem Staat Eingriffe in den Privatbereich welche ihm an sich entzogen sein und bleiben müssten (dass ich keine Sympathien für Auschwitzleugner hege, muss ich wohl nicht sonderlich präzisieren).
gebsn - 21. Dez, 11:05

So optimistisch bin ich leider nicht

Die Fichenaffäre, P26/27 und das ganze Onyx/Satos-System zeigen, wie leicht es trotz Checks und Balances war und ist, heimlich Bürger zu überwachen.

Ist natürlich immer Abwägungssache, welche Eingriffe in die persönliche Freiheit man vornehmen will. Ich bin (wohl wie du) ein Befürworter möglichst grosser Meinungsäusserungsfreiheit. Sogar dann wenn irgendwelche Idioten rassistischen oder revisionistischen Quatsch verzapfen. Gleiches gilt für die Bemühungen gegen "Gewaltpropaganda" die momentan laufen (Verbot von Hakenkreuzen etc.). Bezüglich der Waffen bin ich mir etwas unschlüssig und habe mir noch keine klare Meinung gebildet.
michaelsch (Gast) - 5. Apr, 23:32

Bin Froh...

...eine Stellungnahme eines Juristen zu lesen!

Ich halte die Entwicklung die in Richtung "Big Brother" geht für sehr bedenklich!!

Deshalb versuche ich auch in meinem Blog ein bisschen zu informieren, leider intressiert es die meisten nicht :-(

Bin aber froh wenn ich nicht der einzige bin :)

gebsn - 6. Apr, 08:41

Mich interessiert's sehr

Darum schaue ich auch regelmässig bei dir vorbei. Würde auch gerne noch mehr über das Thema schreiben, aber die Zeit! Ausserdem deckst du ja diesen Bereich schon gut ab.

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