London

Stille Nacht

Schneeblick
Dröhnende Stille über der Ruralperle Biel-Benken

Nach vier Monaten London bin ich für kurze Zeit wieder in der alten Heimat. Unterdessen habe ich mich wieder ans Leben in der kleinen, ruhigen und beinahe irrealen Heimat gewöhnt. Es ist schon ein ganz besonderes, wunderliches Ländlein, unsere Schweiz. Die Perfektion winkt an allen Ecken und Enden, alles geht seine geordneten und geprüften Bahnen und Hektik gibt's nur, wenn der Nachbar den Kehrricht zu früh auf die Strasse stellt.

In den ersten, beinahe grabesstillen Nächten hat mir der gewohnte akkustische Teppich aus Sirenen, Strassenlärm und Schreierei arg gefehlt. Unterdessen kann ich aber sogar die Nacht durchschlafen.

Mehr Bilder: http://www.flickr.com/photos/gebsn/

Ein Wochenende zum Abschreiben

Zuhause
Will ich gerne unterschreiben, va. dieser Tage

Auto abgeschleppt trotz gerade erst - in langwierigstem Prozedere - erworbener gültiger Parkbewilligung, dreitägige Bettlägerigkeit dank Magen-Darm-Trübsal erster Kajüte und die Kombination der zwei Schicksalsschläge (Auslösen des Autos in quasikörperlosem, halbdebilen Zustand) ... Herz was kannst du mehr von einem Wochenende erwarten?

Doch während der geist- und körperlahme Gebsn so im Bett darbte, draussen - natürlich! - feinster Sonnenschein und blauer Himmel höhnte und das Studienmaterial Staub ansetzte, sorgte im trauten Heim meine Herzensdame mit ihrer aufmerksamen und geduldigen Pflege und Zuwendung - und hier setzten bitte die tränendrüsenddrückenden Streicher ein - für ein wenig Sonnenschein in meinem Herzen.

Mehr Fotos: http://flickr.com/photos/gebsn/

Pausentee

Arsenal-Stadion innendrinne
Hervorragend organisierter Fussballtempel, in noch bescheidenem Ausmass gefüllt

Meiner Holden sei dank durfte ich gestern mein erstes Premier League-Fussballspiel vor Ort erleben. Arsenal gegen Aston Villa hiess die Affiche und ging zuungunsten der Gastgeber aus. Ein kleiner Vergleich des Stadions von Arsenal zum etwas bescheideneren Fussballtempel zu Basel liefert folgende, jeglicher Objektivität entbehrende Resultate:

Pausentee
Kein Bier auf den Rängen, aber dafür Tee zum Fussball - da staunt der Nichtengländer

Verkehrsanbindung: Joggeli 1 Arsenal 1
Organisation Einlass: Joggeli 0 Arsenal 1
Eingangsabtastkontrolle: Joggeli 1 Arsenal 0
Anzahl Verpflegungsmöglichkeiten: Joggeli 0 Arsenal 1
Bier auf den Rängen: Joggeli 1 Arsenal 0
Wurstqualität: Joggeli 1 Arsenal 0
Stimmung im Stadionrund: Joggeli 1 Arsenal 0
Fussballqualität: Joggeli 0 Arsenal 1*

Total: Knapper 5 zu 4 Sieg für das Joggeli. Wir gratuliern artig.

Mehr Bilder vom samstäglichen Fussballereignis unter http://www.flickr.com/photos/gebsn/.

*Trotz eher mässiger Fussballkunst von Seiten Arsenal in diesem einen Spiel.

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Kampf der Klimakatastrophe

Tube

Edgware Road, die möglicherweise garstigste U-Bahn-Station der Welt


Was macht man in London, wenn's wieder mal regnerisch und ungebührlich kühl ist? Man geht in die U-Bahn, denn dort herrschen jahreszeitübergreifend schweisstreibende Temperaturen. Im Sommer wurden nach Zeitungsberichten 47 Grad auf der Celsius-Skala gemessen, ich persönlich habe schon - ungelogen - viel Schlimmeres erlebt.

Nun sollen zumindest auf den ältesten U-Bahn-Linien ab 2010 neue U-Bahn-Kompositionen mit Klimaanlagen eingesetzt werden. Auf einigen Linien seien diese neuen U-Bahn-Züge nicht einsetzbar, weil die Tunnels zu tief seien. Für mich unerklärlich, ist dies doch beim - übrigens nicht genug über den grünen Klee lobbaren - Eurostar ohne Weiteres möglich. Sogar die riesigen Verladezüge mit Lastwägen werden auf herrlich angenehme Temperaturen runtergekühlt.

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Die Leaders of the Future networken

Leaders of the Future wurden wir internationale Studenten der UCL in einer der Willkommensreden letzte Woche etwas voreilig und optimistisch genannt. Ausserdem: Was für ein Erwartungsdruck! Manch einer der Leaders tat sich mit dieser Last sichtlich schwer. Oder wie sonst ist zu erklären, dass sich die meisten der Studenten am Willkommensapéro am Abend danach über Gebühr Weisswein hinter die Binde kippten? Vielleicht mit Geldnot oder einer liederlichen Einstellung zum Studentenleben? Ich möcht's nicht ausschliessen.

Letzte Woche
Ein Bild sagt weniger als tausend Worte: Meine letzte Woche

Ich hingegen behaupte steif und fest, dasss die pitoyable Qualität der servierten Hors d'oeuvre hauptsächlicher Auslöser der hemmungslos gelebten Trunksucht war. Die Studentenschar war nämlich grossmehrheitlich mit knurrendem Magen und der Erwartung auf ein reichhaltiges Buffet angereist. So auch meine neu gefundenen Kollegen Karl, Joao und meiner einer. Gereicht wurden zum weit verbreiteten Unmut jedoch nur ein paar Appetithäppchen, die von freundlichen Angestellten dann und wann durch die Menge getragen wurden. Und diese Häppchen waren- um es mal freundlich zu formulieren - scheusslich.

Gandhi
Cervelatprominenz aus dem Dunstkreis der UCL-Alumni

Meine einzige Erklärung für die kulinarische Kernschmelze: Finstere, aber kreative Küchenköpfe verfolgen einen diabolischen Plan, den weltweiten Ruf der englischen Küche noch weiter zu verschlechtern. Wie sonst könnte man auf die Idee kommen, Salziges wie Oliven und Käse auf süsses Gepäck zu pappen und mit süsser Sahne zu servieren? Selbst die hungrigsten Studenten liessen nach wenigen schmerzhaften Versuchen von den Häppchen ab.

Und so blieb nur der Wein. Als uns einer der Bediensteten zum dritten Mal nachschenken wollte, schauten wir uns fragend an. Denn der Schwipsfaktor war - angesicht der fehlenden Speisen - schon im mess- und fühlbaren Bereich. Nach einem kurzen Zögern verkündete Karl schliesslich lauthals die Parole: "Ah, fuck it. Let's get fucking drunk."

Manch einer folgte diesem Aufruf an diesem lauen Abend und auch ich hatte mir – um der Wahrheit die Ehre zu geben – einen kleinen aber hübschen Schwips angetrunken. Unbestätigten Gerüchten nach sollen sogar reihernde und pöbelnde Studenten gesichtet worden sein. Gerüchte, Gerüchte!

Zum Schluss bitte ich davon abzusehen, unsere geliebte Volksdroge Alkohol vorschnell zu verteufeln. Schliesslich wurde schon an diesem ersten feucht-fröhlichen Abend Freundschaft mit Studenten aus aller Welt und aus allen möglichen und unmöglichen Studienrichtungen getrunken. Könnten diese Kontakte eines Tages nicht von unschätzbarem Wert sein? Nun ja.

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Konto gut, alles gut

An meinem Geburtstag gab es eine Überraschung der besonderen Art: Mit der Post trudelte auch das Bankkärtchen für mein neues englisches Bankkonto ein.

Konto
An mein Herz, schnöder Mammonersatz

Nichts Besonderes, könnte der unbedarfte Leser meinen. Weit gefehlt! Als Ausländer ist es in England beinahe ein Ding der Unmöglichkeit ein Konto zu eröffnen. Das ergab nicht nur eine wenig bis gar nicht repräsentative Umfrage sondern auch ein Anruf bei der Schweizer Botschaft. "Ha, Bankkonto!" war die Reaktion als ich nach Tipps für die Kontoeröffnung fragte. Sogar dem Botschaftspersonal würde es, so die nette Dame am anderen Ende der Strippe, trotz Stempel und Unterschrift des Botschafters kaum gelingen, ein Konto zu eröffnen. Ähnlich der Bescheid in der Willkommensbroschüre meiner Universität: Mit einem Konto sollte man besser gar nicht rechnen und lieber reichlich Traveller Cheques und die Kreditkarte aus dem Heimatland mitnehmen.

Grund für die hohen Hürden sind die Kreditsicherheitsprüfungen. Da mit den meisten Konten hierzulande alle möglichen - und von den Einheimischen reichlich benützten - Überzugsmöglichkeiten verbunden sind (Kreditkarte, Überzug per Maestro-/Debitkarte), muss natürlich die Kreditwürdigkeit des Kunden stimmen. Und kreditwürdig ist, wer eine dreijährige akzeptable Kredit-Geschichte ("credit history") vorweisen kann. Wie ist das für frisch zugezogene Ausländer möglich? Genau, gar nicht.

Oder offensichtlich fast nicht. Bei der HSBC soll es laut leise ins Ohr geflüsterten Gerüchten ein Gebühren-pflichtiges Spezialkonto für Ausländer geben. Und meiner einer hat es nun geschafft, ein Bankkonto bei Nationwide zu ergattern. Allerdings war dafür einiges "Gstürm", eine reichlich flexible Interpretation der Realität ("Was ist ihr momentanes regelmässiges Einkommen?") und ein ellenlanges Antragsformular nötig. Ausserdem ist es ein ziemlich rudimentäres Konto. Gerade mal Geld am Automaten abheben und online Rechnungen bezahlen ist möglich. Bezahlung per Karte beim Einkaufen? Maestro-Funktion? Kreditkarte möglich? Von wegen!

Aber ich bin trotzdem überglücklich über mein "Jugendsparkonto" (so der spöttische D. R.), denn in ca. 6-12 Monaten kann ich gemäss meiner Kundenbetreuerin "vielleicht" dieses Konto in ein normales umwandeln. Hei, ich freu mich schon.

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In den Gehörgängen: The Streets - neues Album (cede.ch verkloppt übrigens die zwei alten Alben zusammen für 15.90, zugreifen!)
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Knaststaat UK

"In England und Wales sitzen mehr Menschen mit einer lebenslänglichen Haftstrafe ein als in Frankreich, Deutschland, Italien, Russland und der Türkei zusammengenommen".

Diese irritierende Tatsache habe ich soeben Pit Wuhrers Artikel "Die Zeit der langen Messer" aus der nicht mehr ganz aktuellen WOZ entnommen*. Interessant sind neben den aufgeführten Zahlen zu Gefängnisinsassen auch die Ausführungen zu den Ursachen und den bisher angewandten und den vernachlässigten Massnahmen der bzw. gegen die Jugendgewalt in London.

Insidern ist bekannt, dass dieses Thema mich angesichts der rückwärtig an unser Anwesen angrenzenden Nachbarschaft nicht ganz unberührt lässt.


* Leider ist der hervorragende Artikel wie die meisten WOZ-Artikel nicht online. Dickes Buh dafür und deshalb auch keine Links zur Strafe (ei, das wird schmerzen).

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In den Gehörgängen: Kotzaak Klan - Sikk
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Aktuelles Lieblingswort: Knöllchen [alle Lieblingswörter]

Hilfe, es heiratet sehr

Die Cotswolds sind entgegen dem Klang, den diese Gegend für deutschgewohnte Ohren haben mag, ein herrgöttliches Fleckchen Erde. Grüne hüglige Landschaften, soweit das Auge reicht, übersäht mit putzigen Hecken, Schafen hier und da, und alle paar Meilen finden sich kleine Dörfer mit wunzigen herzigen Häuschen aus Kalkstein ("Cotswold stone"). Kurz: Englische Landschaft at its best. Und wenn sich dann ganz ausnahmsweise mal die Sonne durch die Wolken drängt, vermeint man die himmlischen Chöre zu vernehmen.

hochzeit1
Cotswolds (im Hintergrund), Hochzeitsgesellschaft

In dieser holden Gegend gab es letzte Woche die weissnichtwievielte Hochzeit in England zu celebrieren. Und mit dem Hochzeitstag ist es ja hierzulande keineswegs getan. Weit gefehlt! So gesellten sich zu den Hochzeiten, die meine Herzensdame und ich in den letzten paar Wochen besuchen durften, die vor- und nachhochzeitlichen Gebräuche zu einem satten Programm. Neben der Verlobungsparty, der Junggesellenparty (siehe dazu mein letzter Bericht), der Hen Night für die Damen und der Hochzeit selbst zählt oft auch das Frühstück am Tage danach dazu.

Die Hochzeiten in England unterscheiden sich in vielen Punkten von denjenigen in der Schweiz. So gilt eine Hochzeit mit weniger als 100 speisenden Gästen eher als klein, die Herren erscheinen durchs Band im "Vollwichs" inkl. Krawatte und nach dem Mahl schwingt Jung bis Alt noch heftigst das Tanzbein.

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Zeigt her eure Schuh (in casu: die meiner Herzensdame)

Ein Höhepunkt sind jeweils die traditionellen Reden, die nach dem Hochzeitsmahl gehalten werden. Zuerst erhält der Vater der Braut das Wort, heisst seinen neuen Schwiegersohn in der Familie willkommen und überbringt dem Paar Glückwünsche sowie mehr oder weniger ernst gemeinte Ratschläge. Danach bedankt sich der Bräutigam bei allen Anwesenden - besonders bei unterstützenden Personen (Blumensträusse und Geschenke werden verteilt) - und überhäuft seine Braut mit lobenden wie liebenden Worten.

Anschliessend folgt das Filetstück: die Rede des Trauzeugen ("best man"). Er schöpft aus dem reichen Fundus an lustigen bis peinlichen Momenten aus dem Leben des Bräutigams und unterhält - meist in besserer Qualität als so manches was im deutschsprachigen Raum unter dem Betreff Comedy über den TV flimmert - die Hochzeitsgemeinde.

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Jetzt noch in voller Pracht, doch schon bald von gierigen Magensäften zersetzt

Auch diese Hochzeit enttäuschte nicht nur in diesem Punkt nicht. Sogar Petrus hatte ausnahmsweise ein Einsehen. Wie bestellt verzogen sich die dunklen Wolken und tauchten die schmucke renovierte Scheune ("converted barn"), in welcher die Hochzeit gefeiert wurde, in Sonnenlicht. So konnte nach der Zeremonie im Garten geplaudert und gezecht werden, bevor in der nun in einen Speisesaal transformierten Scheune festlich diniert und anschliessend das Tanzbein geschwungen wurde. Im Gegensatz zur Schweiz gibt es hier wenig Hemmungen: Kleinkinder wie Grosseltern hopsen fröhlich zu ohrenbetäubend lauter Musik herum. Eine nicht ganz unerhebliche Rolle mag hier der Alkohol spielen. Jedenfalls gab es auch an dieser Veranstaltung zwei bis drei semikomatöse Schnapsleichen zu vermelden, die sich nur mit Ach und Krach gegen die lästige Schwerkraft wehren konnten.

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Der Tanzboden ächzt, die Hochzeitsgesellschaft kennt kein Pardong

Mühe mit dem aufrechten Gang hatte auch meiner einer in unserem herzigen Hotelchen nicht fern von der Scheune. Allerdings nicht so sehr der konsumierten Alkoholika wegen, sondern aufgrund des Fussbodens, welcher eine gefühlte 20 Prozent-Neigung aufwies und wegen der Dachbalken, die auf knapper Kopfhöhe montiert waren. Schräg gebückt hatte ich mich deswegen durch unser Zimmer zu bewegen. Beim halbwachen Gang auf die Toilette mitten in der Nacht mochte ich mich dieser Regel nicht mehr recht besinnen. Mit einem lauten Krachen wuchtete ich meine Birne in einen Dachbalken. Der Aufprall war dermassen heftig, dass ich nicht nur memmig stöhnend herumtaumelte, sondern noch bis heute leichte Nachwirkungen in meinem Kiefer spüre - von der famosen Beulengebirgskette ganz zu schweigen.

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Der Schuft (Mitte oben)

Aus dem dortigen Badezimmer darf ich übrigens auch einen feinen Forschungserfolg aus dem Bereich der Nanotechnologie vermelden. Haben es doch Wissenschaftler offensichtlich geschafft, hauchfeine Papierschichten aus zwei Atomlagen für den Alltagsgegenstand Toilettenpapier zu benützen.

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In den Gehörgängen: The Streets - Don't Mug Yourself
Zuletzt gelesen: eMeidi
Zuletzt geglotzt: Nüscht
Aktuelles Lieblingswort: saturiert [alle Lieblingswörter]

Dichtes Programm für dünnes Haar

Fünf schöne Jahre lang war ich Stammkunde bei meinem Coiffeur in meinem Heimatquartier Gundeli. Er ist nicht nur ein Meister seines Faches sondern über die Jahre auch ein vertrauter Bekannter geworden, mit dem Anekdoten, Fussball-Fachsimpeleien und hin und wieder Tiefgründiges ausgetauscht wurde.

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Prima Schur am Shepherd's Bush-Kreisel

Da fällt es natürlich schwer, das Schicksal meiner Haare in unbekannte Hände zu legen. Erst recht in einem fremden Land, auch wenn der Coiffeurbesuch an und für sich ein mutiger Akt ist. Wer würde bitteschön in einen Kleiderladen spazieren und den Eigentümer bitten, ihm nach seinem Gutdünken etwas Modisches, aber nicht zu Modisches überzuziehen. Vielleicht oben etwas bunt, die Hosen nicht zu lang. Richtig, kein Mensch mit Vernunft. Und das zu recht. Aber beim Haareschneiden vertrauen wir uns voll und ganz den Künsten eines Fremden an.

Nachdem mein Haar schon unanständig lang geworden war (Kollege P. P. hätte zu recht von einer "Hippiefrisur" gesprochen), wurde es Zeit, hier in London einen Coiffeursalon aufzusuchen. Mit etwas mulmigen Gefühl betrat ich deshalb gestern einen Barber Shop am Shepherd's Bush, keine fünf Gehminuten vom trauten Heime entfernt.

Gewissenhaft und flink machte sich der junge Mann ans Werk. Nachdem mein Haar mit kräftigen aber gefühlvollen Händen ausdauernd und in mehreren Gängen gewaschen war, folgte als Hauptakt der Haarschnitt. In wahnwitzigem Tempo schnipselte der Coiffeur an meinem Haar herum, trug Schicht um Schicht ab und machte sich schliesslich an den Feinschliff. Grosser elektrischer Haartrimmer, kleiner Haartrimmer, Putzpinselschen, Schere, Föhn, Haartrimmer, Putzpinselchen ... im Sekundentakt schien er seine Instrumente zu wechseln. Wahnsinn. Ohne die beiseite gelegte Brille, sprich nur mit meiner an Blindheit grenzenden Kurzsichtigkeit ausgerüstet, konnte ich nur ahnen, wie es um mein Haupthaar stand.

Nicht lange, und das Mäntelchen wurde entfernt. Mit freudiger und erwartungsvoller Miene präsentierte mir der Figaro sein Werk. Die Sehkraft wiederhergestellt konnte ich erleichtert und erfreut feststellen, dass feinste Arbeit geleistet worden war. Nicht zu kurz, nicht zu lang, was will man mehr? Mit dem glücklichen Gefühl, wieder einen Stammcoiffeur gefunden zu haben, machte ich mich fröhlich pfeifend auf den Heimweg Richtung Sonnenuntergang.

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In den Gehörgängen: Archive - Sham
Zuletzt gelesen: Lexikon der bedrohten Wörter
Zuletzt geglotzt: Nix
Aktuelles Lieblingswort: Funzel [alle Lieblingswörter]

Renn Pferdchen, renn

Zum zwoten Mal durfte ich hier in good old England einen Junggesellentag ("stag day") erleben. Nachdem wir beim ersten Mal in einem Adventure Park männliche Aktivitäten wie Paintball, Quadbiking, Axtwerfen und das Verdrücken von halbrohen Hamburger mit Käsesurrogat betrieben hatten, ging es diesmal zum Pferderennen. Genauer: zum berühmten Pferderennen von Newbury.

In unchristlicher Frühe traf sich das etwa 30-köpfige Grüppchen in - genau! - einem kleinen, finsteren, aber reichlich gemütlichen Pub. Dort wurde ganz selbstverständlich schon der erste Frühschoppen gehoben, während die Engländer ihre über den TV paddelnden Ruderequippen anfeuerten. Zwei Pints für die meisten (und eins für mich) später, bestiegen wir den gemieteten Bus. Erster Zwischenstopp: Ein Getränkeladen, aus welchem fröhlich-lärmend sämtliche Alkoholikabestände in unseren Bus verfrachtet wurden. Entsprechend unterhaltsam gestaltete sich die restliche Fahrt.

Auf dem Rennkurs angekommen wurde ich freundlichst von den mir zwei bekannten Kollegen des zukünftigen Ehemanns in die Kunst des Wettens eingewiesen ("Eigentlich hat hier sowieso niemand eine Ahnung."). Nach zwei komplett missratenen Rennen änderte ich meine Taktik. Anstatt akribisch die Kommentare in Programm und Rennsportzeitung zu lesen, setzte ich auf das Bauchgefühl und wählte jeweils den erstbesten der aufgeführten Favoriten. Und siehe da, von vier Wetten auf den Sieger ("on the nose") tippte ich zwei Mal richtig, und ein Mal war mein Pferdchen unter den ersten Vier, so dass ich am Schluss trotz einiger bezahlter Runden gleich viel Geld im Beutelchen vorweisen konnte wie am Anfang.

A propos Getränke. Während ich mich ausgewogen mit Bier und Cola sowie einem dicken Sandwich ernährte, setzten die zwei Kollegen wie die meisten Anwesenden - ganz im Sinne des englischen Dogmas, dass jede Veranstaltung auch eine Gelegenheit zum Halb- bis Vollrausch ist - voll und ausschliesslich auf Guiness-Diät. Entsprechend kamen die unbedarften Feinmotoriker hinter der Bar kaum nach mit dem Ausschank.

Schon im Bus war gedroht worden, dass ja keiner ohne ein feines Damenhütchen, das traditionell von den rausgeputzten Frauen am "Ladys' Day" getragen wird, zurückkommen solle - so er denn mit nach Hause fahren wolle. Einige Burschen nahmen sich - je später der Tag und je höher der Pegel - dieses Credo sehr zum Herzen und versuchten mit Charme und Bestechung den anwesenden Damen einen Hut abzuluchsen. Und meine zwei Kollegen schafften dies sogar und trugen ihre errungenen Kopfbedeckungen mit Stolz für den Rest des Rennens umher. Chapeau!

Und während Boyzone zum Abschluss der Veranstaltung neben dem Rennkurs ihre alten Gassenhauer intonierten, machten wir uns im Bus zurück zu unserem Ursprungsort. Nicht ohne laut und falsch Liedgut aus den Siebzigern zu intonieren (Asche auf mein Haupt, ich war dabei) resp. - im ungünstigeren Fall - mit bleichem Köpfchen den Rausch auszuschlafen.

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In den Gehörgängen: The Movement - Tell Tu Mama
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