[Polemik] Wider die Frühlingsmemmen

[Erste Veröffentlichung unter myblog.de/gebsn am 10. Mai 2005]

Kaum schlawinert sich der erste Sonnenstrahl durch die Wolkendecke, kaum klettert das Quecksilber - noch etwas scheu - über die zehn Grad Celsius-Demarkationslinie, da kommen sie wie das Ungeziefer aus ihren Löchern gekrochen: Die Frühlingsmemmen. Den ganzen gebenedeiten Winter lang hatte man in den weiten Parks und lieblichen Naherholungszonen Ruhe vor dem unsäglichen Pack. Luftig, leicht und ungestört liess es sich durch die paradiesischen, weil frühlingsmemmenleeren Weiten joggen. Stille, Eintracht, Wohlgefallen. Die wenigen Mitverschworenen wurden mit einem kurzen, wissenden Nicken gegrüsst. Vorbei, vorbei, die gute Zeit.

Damit hier eines herrscht, nämlich Klarheit: Frühling, Wärme, Sonnenstrahlen mag ich sehr. Die bei diesen Frühlingssymptomen explosionsartig ins Freie strömenden Völkerschaften hingegen weniger - seien wir ehrlich: überhaupt nicht.

Aber wer und was ist eine Frühlingsmemme? Gute Frage! Wie erwähnt, die gemeine Frühlingsmemme scheut das kaltfeuchte Wetter wie Osama den Barbier. Fallen die ersten Tropfen, ist Herr Frühlingsmemme ja sowas von schon längst wieder in der überheizten Memmenstube, das gibt's gar nicht. Herrscht Schal- oder Schirmwetter heisst's bei Frühlingsmemmens: zuhause ist's immer noch am schönsten. Auffallend ist, dass insbesondere junge Familien, frisch verliebte Pärchen und - leider, leider - ganz allgemein die verweichlichte Jugend zum Typus "Frühlingsmemme" zu zählen sind. Weht ein frisches Windchen, traut sich das hanswurstige Gesindel kaum mehr über die Türschwelle. Trüben ein paar unverschämte Wölkchen das Himmelsblau, steht eins schon fest: Frau Frühlingsmemme sieht sich's durch's Fenster an. Aber auch die sommerlich heissen Temperaturen mag die Frühlingsmemme nicht. Natürlich nicht.

Umso mehr soll hier unseren rüstigen Rentnern ein Kränzchen gewunden werden. Nicht nur trotzen sie ohne Murren Wind und Wetter, sondern sie zeigen sich auch bei allerschönstem Wetter nur in angebrachter Zahl im Freien. Ganz anders - wen mag's noch erstaunen? - das verabscheuungswürdige Frühlingsmemmengesocks. Allein sind diese Schurken bekanntlich nie anzutreffen. Denn die Frühlingsmemme ist ein ausgesprochenes Herdenvieh. Ihrem Naturell entsprechende meteorologische Bedingungen vorausgesetzt, besetzen Abertausende von Lenzluschen jeden verdammten Quadratmeter Naherholungsgebiet. Schmeissfliegen auf einem frisch gefallen Pferdeapfel gleich lassen sie das von ihnen besetzte Objekt unter ihrer erdrückenden wie nichtsnutzigen Präsenz verschwinden. Platz für normalsterbliche Wandervögel, Jogger und alle weiteren Nicht-Frühlingsmemmen? Ja, denkste!

Geht's schlimmer? Es geht! Unerträgliche Zustände muss man nämlich immer dann vorfinden, wenn zwei an und für sich wunderbare Ereignisse zusammenprallen und in einem finsteren, apokalyptischen Szenarium kulminieren. Sprich: wenn die warmen Frühlingstage auf einen Feiertag fallen. Gott sei uns allen gnädig! Dann gibt's kein Halten mehr bei Frühlingmemmens: wie ein gefrässiger Heuschreckenschwarm ziehen sie über die einst blühenden Landschaften, kein Fleckchen Grass, kein Stück Asphalt, das sie nicht mit ihren stinkenden Füssen malträtieren. Das scheue Wild, Flor' und Fauna sowie das normale Menschengeschlecht flieht, flennt, flüchtet. Eine Plage biblischen Ausmasses.

Kritische Geister mögen diese Ausführungen als übertrieben, ja absurd abtun. Aber Gott sei's geklagt, es ist nichts als die schauerliche Wahrheit, die ich an eigenem Leib erleben musste. Ein Beispiel (unter vielen) gefällig? Voilà: Wir schreiben den Karfreitag, den ersten frühlingshaften Feiertag dieses noch jungen Jahres 2005. Frohen Mutes zog ich kurz vor den nachmittäglichen Fünfen von zu Hause los. Die Joggingschuhe geschnürt, die sommerlich kurze Turnhose zeigte fahles Beinfleisch, das späte Mittagsmahl lag noch etwas schwer auf. Aber ich war guter Dinge. Wieso auch nicht, denn Petrus hatte uns einen prächtigen Frühlingstag hingekleckert. Die Strassen auf dem Weg zum "Grün 80" genannten Park, wo ich meine Joggingrunden zu drehen pflege, menschenleer. Lunge, Beine, Gemüt - alles noch im grünen Bereich. Kaum aber bei der "Grün 80" angekommen stockte mir der Atem. Menschenmassen so weit das Auge reicht! Verdammte Frühlingsmemmen!

Meine Route ändern? Sicher nicht. Sicher nicht der Frühlingsmemmen wegen! "Keine Handbreit den Frühlingsmemmen!", rief ich mir zu und stürzte mich tapfer in die wabernde Memmenmasse. In akrobatischem Slalomlauf umkurvte ich alles niederwalzende trächtige Mütter, wich in Todesangst Dreikäsehochs auf ihren viel zu kleinen Mountain Bikes aus, ihr höhnisches Dauergeklingel noch minutenlang in den Ohren. Mit verzweifelten Sprüngen versuchte ich mich vor den Rollerblade-Killerkommandos zu retten, die - zu zweit, zu dritt, zu viert! - auf wackligen X-Beinen alles in ihrer Rollschneise zu überrollen drohen. Keine Zeit, um sich um brennende Lungen, schwachmatiges Muskelfleisch oder den erst anverdauten Klumpen in meiner Magengegend zu kümmern, denn die Frühlingsmemmenplage fordert ungeteilte Aufmerksamkeit. Keine Sekunde darf man seine Gedanken schweifen lassen, keinen Augenblick auch nur eine Frühlingsmemme aus den Augen lassen.

Denn: Leinenlos herumrennende, hechelnde Hunde, minderjährige Fahrradrowdies und Babywagen schiebende Muttis und Vatis - sie alle eint das Ziel aller Frühlingsmemmen: Nicht-Frühlingsmemmen das Passieren so schwer als möglich und das Leben zur Pein zu machen. Dass ich es schliesslich überhaupt noch lebend bis ans herbeigeschluchzte Ende des Parks geschafft habe, grenzt an ein Wunder. Nur dank Fortuna und unter Schweiss, Blut und Tränen konnte ich den unerbittlichen Klauen der Lenzluschen entkommen. Doch zu welchem Preis, ja zu welchem Preis?! Den Pyrrhussieg bezahlte ich teuer. Nur mit letzter Kraft konnte ich mich überhaupt noch nach Hause schleppen, wo ich völlig entkräftet weinend zusammenbrach und alsbald in einen todesähnlichen Schlaf fiel und von süssen, frühlingsmemmenfreien Zeiten träumte.

So sind sie, die Frühlingsmemmen. Und all den ungläubigen Menschenfreunden, die dies in der Einfalt ihres Herzens als Schauermär abtun, sei's ins Stammbuch geschrieben: Wer's nicht glaubt, ist ihnen nur noch nicht begegnet. Kaum mehr erfreuen kann man sich an den sonnig-warmen Lenzentagen. Es ist zum Weinen. Und wer hat Schuld? Genau. Darum: wehe, wenn die Sonne scheint!

Ziehen aber Wölkchen auf oder erdreisten sich gar ein paar unverschämte Regentropfen, vom Himmel zu fallen, dann sind sie - husch, husch - weg, die vermaledeiten Frühlingsmemmen. Darum kann ich nur sagen, lass reichlich Regen fallen, Herr.
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