Erstaunlich wenig Medienecho ausgelöst hat - zumindest in der deutschsprachigen Presse (*) - die Enteignung und Verstaatlichung von Betrieben in Venezuela. Ich bin erst über den ausführlichen Artikel
"Öffentliches Interesse vor Profit" in
"junge welt" auf das Thema aufmerksam geworden. Hier eine kurze, nach subjektiven Gesichtspunkten zusammengestellte Zusammenfassung des Artikels mit abschliessendem Kommentar:
Seit Juli dieses Jahres werden ganz oder teilweise geschlossene Unternehmen in Venezuela enteignet (resp. auf ihre Eignung zur Enteignung überprüft). Die Enteignung geschlossener Betriebe (mit Entschädigung nach Marktwert) ist Teil des strategischen Plans zur Belebung der nationalen Produktion und stellt laut
Präsident Chavez den Mittelpunkt einer "wirtschaftlichen Wende in Richtung Sozialismus des 21. Jahrhunderts" dar. Die Wirtschaft Venezuelas war in den vergangenen Jahrzehnten einseitig auf den Erdölexport ausgerichtet, die meisten Verbrauchsgüter sowie 70 Prozent der Lebensmittel mussten unterdessen importiert werden.
1149 Unternehmen stehen auf der Liste der Unternehmen, die sich in Enteignung befinden oder enteignet werden sollen. Allerdings sollen erst zwei Enteignungen erfolgreich abgeschlossen worden sein.
Die enteigneten Betriebe werden in der Regel in kollektive Besitzformen überschrieben und erhalten staatliche Unterstützung finanzieller und technischer Art. Dabei wird teilweise die "cogestion", die Arbeitermitverwaltung, eingeführt. Wahrscheinlich ein Grund warum der Gewerkschaftsdachverband "Union Nacional de Trabajadores" (UNT) die Enteignungen unterstützt. Die cogestión beruht auf den sozialen Bürgerrechten und der sozialen Gleichheit als Ziel der Gesellschaftsordnung (mit dem Staat als Garanten), wie sie in der neuen Verfassung festgelegt wurden. Sie ist Teil der "partizipativen und protagonistischen Demokratie", d.h. der Staat wird als partizipativer Raum verstanden, in dem die Bevölkerung mittels diverser Instrumente das öffentliche Leben mitgestaltet und die Institutionen kontrolliert. Die UNT geht aber noch einen Schritt weiter als die Regierung und fordert die Arbeitermitverwaltung nicht nur für enteignete private Betriebe sondern auch für die staatlichen Betriebe.
Der Versuch einer Steigerung der nationalen Produktion beschränkt sich nicht auf die oben beschriebenen Enteignungen. Kooperativen erhalten Kredite zu sehr niedrigen Zinssätzen, unproduktiven Unternehmen wird staatliche Unterstützung angeboten. Da die Computer ausländischer Hersteller für den Grossteil der Bevölkerung zu teuer sind, will Venezuela gemäss
Meldung von futurezone.at sogar mit einem staatseigenen PC-Unternehmen einen eigenen Billigcomputer produzieren.
Für die cogestion" fehlt bis jetzt eine gesetzliche Grundlage. Aber auch die Enteignungen scheinen nicht gerade auf soliden gesetzlichen Füssen zu stehen und z.T. unter dubiosen Umständen zustande zu kommen. So unterstützenswert die Arbeitermitverwaltung, die partizipative Demokratie und die Verstaatlichung stillgelegter Betriebe aus meiner Sicht sind, so müssten derartige einschränkende Massnahmen doch klar mit gesetzlichen Grundlagen demokratisch abgestützt sein.
(*) Hier ein paar Artikel auf die ich gestossen bin:
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In den Gehörgängen:
RJD2 - Rain
Zuletzt gelesen: WOZ
Zuletzt geglotzt: Arena (Wiederholung)
Aktuelles Lieblingswort: Schmackes
gebsn - Samstag, 8. Oktober 2005, 14:21