[Humor] Schlangestehen (eine Replik)

Inspiriert von Michèle Rotens aktueller Kolumne im "Magazin" über das Schlangestehen an Supermarktkassen habe ich mich entschlossen, ebenfalls eine kurze Abhandlung über dieses banale aber emotionsgeladene Alltagsritual zu verfassen. Man könnte es beinahe eine Replik nennen, wenn denn mein Geschreibsel je einem ähnlichen Leserkreis zu Gesicht käme. Also doch nicht.

In ihrer Kolumne "Miss Universum" hat Fräulein (das hören die jungen Dinger doch immer so gerne) Roten dezidiert die Meinung vertreten, dass in Supermarktkassenschlangen für Einkaufende mit prall gefüllten Einkaufswagen die ethische Pflicht besteht, bei entsprechender Anfrage Mitkonsumenten mit lediglich einem Artikel (in casu: ein Eistee) nach vorne zu lassen. Eine schöne Meinung, aber eine falsche!

Denn in Einkaufszentren- und Supermarktkassen gilt das unerbittliche Naturgesetz: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst! Wieso sollte man ausgerechnet denjenigen Menschenschlag vorlassen, der entweder zu dämlich, zu faul oder zu unorganisiert ist, um die Einkäufe in einem Aufwasch zu erledigen und deshalb für jeden einzelnen Artikel nochmals in den Einkaufsladen rennen muss? Nö, nö, das wär' ja noch schöner! Wer hier eine Ausnahme macht, beweist zwar ein gutes Herz, erweist den unbedarften Einkaufsdilettanten aber einen Bärendienst.

Meiner einer hat sich in langer und harter Arbeit für das Schlangestehen eine Engelsgeduld angeeignet. Mich kann so leicht nichts mehr erschüttern. Was, das Druckerpapier für die Kasse ist alle und muss erst per Telefon von Kasse 14 angefordert werden? Ich warte geduldig. Der alte, klapprige Rentner möchte gerne auf den Rappen genau bezahlen und kramt mit seinen zittrigen, von der Gicht gezeichneten Fingern minutenlang im Lederportemonnaie? Ich warte geduldig. Die junge Mutter hat - haha! - leider vergessen, das Gemüse zu wägen und mit der erforderlichen Klebeetikette zu versehen, und lässt ihr quengelndes Kind im Einkaufswagen zurück, um "ganz schnell" das unterlassene Tun nachzuholen? Kann passieren, ich warte geduldig!

Wie das geht? Ganz einfach. Erstens hilft es ungemein, wenn man die Ungeduld der Mitwartenden beobachtet. Wie sie nervös von einem Fuss auf den anderen treten, hektisch und demonstrativ auf die Uhr am Handgelenk schauen und verärgert den Urheber oder die Urheberin der Verzögerung ins Visier nehmen. Oder man inspiziert zweitens die Einkaufswagen und -körbe und versucht anhand des Inhalts Lebensgewohnheiten zu erraten. Dabei darf auch gerne mal in ganz wilde Richtungen spekuliert werden.

Wer dann immer noch nicht die nötige Geduld aufbringt, dem empfehle ich drittens - als ultima ratio - einen Aufenthalt in Venezuela oder einem Land mit ähnlich viel Zeit und Musse. Im schönen Ländchen Venezuela haben meine Brüder und ich nämlich mehrfach eine gute Stunde verbraten, um hundskommune "Travellers Cheques" in Bares zu wechseln (und sind dabei, weil keine "Dollares" ausbezahlt werden, per Umrechnungskurse noch 1A übers Ohr gehauen worden). Da lernt man die wirkliche Bedeutung von Schlangestehen kennen. Über die läppischen fünf Minuten an der Migroskasse kann man nach der Rückkehr dann nur noch fröhlich und entspannt lachen. Allerdings hält dieser Effekt leider nur sehr kurz an und man hat sich in Windeseile wieder an die eigentlich paradiesischen Schweizer Verhältnisse gewöhnt.

Aber es sei zugegeben, auch mir fällt das geduldige Warten nicht immer einfach. Denn irgendwie schaffe ich es immer, die Schlange zu erwischen, die zwar vermeintlich die kürzeste ist, schliesslich und endlich aber mit Abstand am tranigsten Richtung Kasse vorrückt. Wenn ich mal einen Film drehe (oder besser: falls ich jemals einen Film drehen sollte), wäre deshalb folgende Szene schon jetzt gesetzt: der Hauptprotagonist steht in einer Schlange, die sich überhaupt nicht bewegt, ja wie eingefroren erscheint, während die übrigen Schlangen in Zeitraffergeschwindigkeit rasend schnell vorwärts kommen und an der unbeweglichen Schlange vorbeiziehen. Arbeitstitel: "The Return of Suppenkasper hat Schulranzenweh".
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